Tabuthema: Einsamkeit
- Melanie Faltermeier
- 23. Apr.
- 6 Min. Lesezeit
Auswirkungen, Initiativen & Strategien für die Unternehmens-, Führungs- und Mitarbeiterebene
Einsamkeit ist ein komplexes und häufig unterschätztes Phänomen, das längst nicht mehr nur das Privatleben betrifft, sondern auch in der Arbeitswelt eine zentrale Rolle spielt. Obwohl sie oft mit dem Alter in Verbindung gebracht wird, kann sie Menschen in jeder Lebensphase betreffen. Sie entsteht nicht zwangsläufig durch physische Isolation, sondern vor allem durch das subjektive Empfinden mangelnder sozialer Verbundenheit und kann sowohl die psychische als auch die körperliche Gesundheit massiv beeinträchtigen.
Gerade vor dem Hintergrund neuer Arbeitsformen wie Remote Work ist es daher entscheidend, dass Unternehmen Einsamkeit nicht als individuelles Problem abtun, sondern als organisationale Herausforderung begreifen.

Was genau ist Einsamkeit?
Einsamkeit ist ein einzigartiger Zustand, der das Gefühl sozialer Isolation beschreibt, obwohl man sich in Gesellschaft anderer Menschen befindet. Somit kann Einsamkeit nicht mit dem Alleinsein gleichgesetzt werden (Cacioppo & Cacioppo, 2018). Die wahrgenommene soziale Isolation kann mit einem Gefühl der Unsicherheit verglichen werden (Hawkley & Cacioppo, 2010).
Die Ursachen für Einsamkeit sind vielfältig und lassen sich auf gesellschaftliche Veränderungen sowie individuelle Faktoren zurückführen. Zu den häufigsten Ursachen von Einsamkeit zählen soziale Isolation, Verlusterfahrungen und ein schlechter Gesundheitszustand. Nicht nur fehlende emotionale Beziehungen können zu Einsamkeit führen, sondern auch ein niedriges Bildungsniveau oder geringes Einkommen (Savikko et al., 2005).
Datenlage über Einsamkeit
Aktuelle Daten aus dem Einsamkeitsbarometer 2024 zeigen, dass sich etwa 11,3 % der Erwachsenen in Deutschland im Jahr 2021 einsam fühlten. Besonders sind junge Erwachsene zwischen 18 und 29 Jahren (14,1 %) und Erwachsene zwischen 30 und 50 Jahren (12,3 %) betroffen. Zudem fühlen sich Frauen (12,8 %) oftmals einsamer als Männer (9,8 %) (Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, 2024). Im internationalen Vergleich liegt Deutschland in Bezug auf Einsamkeit im mittlerem Bereich. 51 % der jungen Erwachsenen (18-35 Jahre) berichten von mindestens moderater Einsamkeit – im europäischen Durchschnitt sind es 57 % (Luhmann et al., 2024).
Welche Auswirkungen hat Einsamkeit?
Einsamkeit kann gravierende Folgen auf die psychische und physische Gesundheit mit sich bringen. Studien zeigen, dass sowohl die tatsächliche als auch die wahrgenommene soziale Isolation zu einer früheren Sterblichkeit führen kann. Zudem kann das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen sowie Bluthochdruck steigen (Holt-Lunstad et al., 2015). Menschen, die unter Einsamkeit leiden, sind zusätzlich zu den physischen Auswirkungen anfälliger an Depressionen oder Angststörungen zu erkranken (Park et al., 2020).
Wenn Mitarbeiter sich am Arbeitsplatz zurückziehen, führt dies oftmals zu Einsamkeit, was wiederum erheblichen Stress verursachen kann. Außerdem ist Einsamkeit am Arbeitsplatz nicht immer nur ein individuelles Problem, sondern kann die gesamte Teamleistung und deren Produktivität negativ beeinflussen (Zhou, 2018).
Praktische Tipps: Strategien gegen Einsamkeit
Um Einsamkeit am Arbeitsplatz wirksam zu bekämpfen, ist es entscheidend, auf verschiedenen Ebenen gezielte Maßnahmen zu ergreifen. Im Folgenden werden daher Strategien auf Unternehmens-, Führungs- und Mitarbeiterebene vorgestellt, durch die Einsamkeit am Arbeitsplatz effektiv reduziert und ein unterstützendes, verbundenes Arbeitsumfeld geschaffen werden kann.
Strategien auf Organisationsebene
Kultureller Fit bei der Personalauswahl: Im Rekrutierungsprozess sollte gut geprüft werden, ob BewerberInnen zum Team und zur Unternehmenskultur passen, um präventiv die Entstehung von Unzugehörigkeits- und Einsamkeitsgefühlen vorzubeugen (Sekhon & Srivastava, 2019)
Beziehungsorientiertes Onboarding: Entwicklung von Sozialisierungs-/Onboarding-Prozessen, die sich auf relationale Aspekte der Arbeit konzentrieren, um neuen MitarbeiterInnen den sozialen Anschluss zu erleichtern (Wright & Silard, 2022)
Förderung von interdisziplinären Teams: Die Bildung von Teams, die über Abteilungen hinweg zusammenarbeiten, stärkt die sozialen Bindungen zwischen den MitarbeiterInnen und erhöht das Gefühl der Zugehörigkeit (Henttonen, Johanson, & Janhonen, 2014).
Mentoring und Coaching-Programme: Im Sinne von Peer-Support-Netzwerken können Mentoring und Coaching-Angebote ein wirksames Mittel sein, um Einsamkeit am Arbeitsplatz zu reduzieren (Cooper & Quick, 2003), da sie eine Möglichkeit bieten, über arbeitsbezogene und persönliche Themen zu sprechen und eine stärkere soziale Einbindung zu erleben (Wright, 2005).
Angebot von sozialen Aktivitäten: Regelmäßige soziale Veranstaltungen oder Gruppenaktivitäten wie Turniere oder andere Freizeitaktivitäten (z. B. Tischtennis, Darts) können den informellen Austausch fördern und das Gemeinschaftsgefühl unter den MitarbeiterInnen stärken (Wright & Silard, 2022; Sekhon & Srivastava, 2019).
Strategien auf Führungsebene
Schulungen für Führungskräfte: Um Einsamkeitsgefühle zu vermindern, bietet sich ein Training für Führungskräfte an, ein Klima des Vertrauens, der Zugehörigkeit und gemeinsamer Werte zu schaffen, sodass die MitarbeiterInnen ermutigt werden, sich gegenseitig zu unterstützten und das Gesamtklima von Zusammenhalt geprägt ist (Wright, 2005).
Vorbildfunktion der Führungskräfte: ManagerInnen sollten soziale Interaktionen und Unterstützung aktiv vorleben, um eine offene und integrative Arbeitsumgebung zu schaffen, in der ein freundschaftlicher Umgang unter MitarbeiterInnen gefördert wird (Rousseau, 1995).
Offene Kommunikationskanäle etablieren: Regelmäßige Abteilungstreffen zwischen Führungskräften und MitarbeiterInnen können das Vertrauen und das Gefühl der Verbundenheit fördern und somit Einsamkeitsgefühlen entgegenwirken (Hou & Cai, 2024).
Strategien auf Mitarbeiterebene
Kommunikations- und Sozialkompetenztraining: MitarbeiterInnen mit geringen sozialen Fähigkeiten können gezielt an ihren Kommunikationsfähigkeiten arbeiten, um sich besser in soziale Strukturen einzufügen (Jones, Hobbs & Hockenbury, 1982). Studien zeigen, dass zurückhaltende oder passive Kommunikationsmuster Einsamkeit verstärken können, sodass hier ein Kompetenztraining sinnvoll eingesetzt werden können (Bell, 1985).
Proaktives Kommunizieren: Um Einsamkeit eigenverantwortlich entgegenzuwirken, können MitarbeiterInnen während gemeinsamer Pausen bewusst Gespräche initiieren, die thematisch über berufliche Inhalte hinausgehen. Dies eröffnet einen privateren Austausch (z. B. über Hobbys) und fördert soziale Bindungen (Sekhon & Srivastava, 2019).
Soziale Tagesplanung: Selbststrukturierung des Arbeitstags, inkl. bewusstem Einplanen von sozialen Interaktionen und Bewegung kann Einsamkeit aktiv entgegenwirken (Sekhon & Srivastava, 2019).
Initiativen gegen Einsamkeit
Selbst die Gesellschaft und gar die Politik erkennen das Problem der Einsamkeit. Einige Initiativen wurden bereits ins Leben gerufen, die wir hier kurz vorstellen:
Berlin-Reinickendorf: Erste Einsamkeitsbeauftragte Deutschlands in Vollzeit eingestellt (Katharina Schulz); Fokus auf verschiedene Altersgruppen von 2024 bis 2027. (ZDF, 2024)
Offline Girls (Berlin): Bianka Gawron organisiert wöchentliche Spaziergänge zur Förderung echter, analoger Begegnungen – wachsende Community. (ZDF, 2024)
Dänemark (Aarhus): Mehrgenerationenhaus unter Leitung von Kristian Dall – modernes Dorfleben in der Stadt mit 304 Apartments, Kita, Café und Pflegeeinrichtungen. (ZDF, 2024)
App "Helpcity": Von Paul Schonnebeck entwickelt; digitale Plattform für junge Menschen zur Bekämpfung von Einsamkeit und Förderung ehrlicher Verbindungen. (ZDF, 2024)
„Social Prescribing“ (Großbritannien): Im Rahmen eines Pilotprojekts wird Menschen mit psychischen Belastungen empfohlen, Comedy-Clubs zu besuchen, um Einsamkeit zu reduzieren und die Lebensqualität durch humorvolle Gemeinschaftserlebnisse zu verbessern. (Deuschlandfunk Nova, 2025)
Fazit
Strategien gegen Einsamkeit sollten folglich in der Praxis ganzheitlich auf mehreren Ebenen konzipiert und etabliert werden: von der Unternehmens-, Führungs- bis hin zur Mitarbeiterebene. Auch neue Ansätze gegen Einsamkeit werden in Deutschland zunehmend sichtbarer. Ein herausragendes Beispiel dafür ist die Aktionswoche „Gemeinsam aus der Einsamkeit“, die jährlich vom Kompetenznetz Einsamkeit (KNE) in Zusammenarbeit mit dem Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) organisiert wird. Dabei soll explizit das Thema Einsamkeit als gesamtgesellschaftliche Aufgabe sensibilisiert werden und zudem die gesellschaftliche Teilhabe gefördert werden.
Denn eins ist sicher: Nur wenn wir Einsamkeit als relevantes Thema im betrieblichen Kontext anerkennen, können wir langfristig gesunde, produktive und miteinander verbundene Arbeitswelten schaffen.
Dieser Beitrag wurde von Alexandra Müller und Antonia Römhild verfasst und
von Melanie Faltermeier veröffentlicht.
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Quellen:
Bell, R. (1985). Conversational involvement and loneliness. Communication Monographs, 52(3), 218–235. https://doi.org/10.1080/03637758509376014
Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (2024). Erstes Einsamkeitsbarometer für Deutschland. Verfügbar unter: https://bmfsfj.de/
Cacioppo, J. T., & Cacioppo, S. (2018). The growing problem of loneliness. The Lancet, 391(10119), 426.
Cooper, C., & Quick, J. (2003). The stress and loneliness of success. Counselling Psychology Quarterly, 16(1), 1–7. https://doi.org/10.1080/0951507031000082330
Deutschlandfunk Nova. (2025, März 13). Lachen: England testet Comedy auf Rezept. https://www.deutschlandfunknova.de/beitrag/lachen-england-testet-comedy-auf-rezept
Hawkley, L. C., & Cacioppo, J. T. (2010). Loneliness matters: A theoretical and empirical review of consequences and mechanisms. Annals of behavioral medicine, 40(2), 218-227.
Henttonen, K., Johanson, J.-E., & Janhonen, M. (2014). Work-team bonding and bridging social networks, team identity and performance effectiveness. Personnel Review, 43(3), 330–349. https://doi.org/10.1108/PR-12-2011-0187
Holt-Lunstad, J., Smith, T. B., Baker, M., Harris, T., & Stephenson, D. (2015). Loneliness and social isolation as risk factors for mortality: a meta-analytic review. Perspectives on psychological science, 10(2), 227-237.
Hou, L., & Cai, W. (2024). Effect of empowering leadership on employees’ workplace loneliness: A moderated mediation model. Frontiers in Psychology, 15, Article 1387624. https://doi.org/10.3389/fpsyg.2024.1387624
Jones, W., Hobbs, S., & Hockenbury, D. (1982). Loneliness and social skill deficits. Journal of Personality and Social Psychology, 42(4), 682–689. https://doi.org/10.1037/0022-3514.42.4.682
Luhmann, M., Schäfer, B., & Steinmayr, R. (2024). Einsamkeit junger Menschen 2024 im europäischen Vergleich. In A. Langness & L. Berner (Hrsg.), Bertelsmann Stiftung. https://doi.org/10.11586/2024167
Park, C., Majeed, A., Gill, H., Tamura, J., Ho, R. C., Mansur, R. B., ... & McIntyre, R. S. (2020). The effect of loneliness on distinct health outcomes: a comprehensive review and meta-analysis. Psychiatry research, 294, 113514.
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Zhou, X. (2018). A review of researches workplace loneliness. Psychology, 9(5), 1005-1022.